
New Chapter, Same Love – Wenn Kinder gehen und das Leben bleibt
Ich glaube, es fing so im Frühjahr vergangenen Jahres an. Luca erwähnte immer mal wieder das Thema eigene Wohnung, und vermutlich wusste ich da schon, dass dieser Wunsch schneller Form annehmen würde, als mir lieb war.
Wie Eltern so sind, habe ich natürlich alle möglichen sinnvollen Argumente gefunden, um noch ein bisschen zu warten. Zum Beispiel den Umstand, dass er noch in der Ausbildung ist – und dass deren Ende gar nicht mehr so weit entfernt liegt. Ich denke, es war eine Mischung aus guten Gründen, aber eben auch der Angst vor dieser Veränderung bei mir.
Dass die Pläne schon längst in der Umsetzung waren, erfuhr ich dann im späten Herbst – und nicht direkt von meinem Sohn, sondern von seiner Freundin. Sie hatte sich versehentlich und voller Vorfreude auf eine mögliche gemeinsame Wohnung verplappert. An dem Abend nahm ich das noch mit Humor, aber am nächsten Morgen stand ich in meiner Küche und bekam ein bisschen Panik. Mir ging alles und nichts durch den Kopf.
Auf der einen Seite bin ich so unglaublich happy darüber, dass er seinen Weg geht, nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit strebt – und andererseits: Warum zur Hölle gelten diese Statistiken, dass Söhne länger zu Hause leben als Töchter, bei mir nicht?
Aber anstatt zu jammern, habe ich die beiden natürlich bei der Wohnungssuche unterstützt. Denn in der Stadt eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist ja heute wie ein Sechser im Lotto – und genau dieser fiel uns in den Schoß. Eine wunderschöne Altbauwohnung, neu saniert, im Herzen von Leipzig – zu einem Traumpreis. Fragt nicht … solche Wohnungen gehen wirklich nur unter der Hand weg, und wir hatten dieses Glück nur, weil ich bei dieser Stiftung selbst schon seit knapp zehn Jahren wohne.
Trotzdem war der gesamte Prozess drumherum ziemlich aufregend. Wir haben bis zur letzten Sekunde gezittert, ob es wirklich klappt. Wir reichten unzählige Unterlagen ein, ohne Bürgschaft ging natürlich nichts – und dann kam die Zusage für die „Kids“. Ich freute mich so sehr für die beiden, weil das Thema Wohnungssuche mittlerweile einfach zermürbend ist. Ich hätte mir kaum vorstellen können, dass wir das so fix und reibungslos hinbekommen.
Ich fuhr an dem Abend auf einer der Hauptstraßen entlang, hörte eine Sprachnachricht von Ivonne ab, wollte voller Freude antworten und die News überbringen – und auf einmal ging gar nichts mehr. In dem Moment sprach ich zum ersten Mal laut aus: „Luca zieht aus.“
Ich stand eine halbe Stunde auf dem Parkplatz, heulte mir die Augen aus und bedauerte mich und mein Leben.
Und dann waren wir erstmal mit Umzug und Einrichtung beschäftigt. Ich kam also gar nicht so richtig zum Nachdenken oder dazu, mich selbst zu bemitleiden. Gott sei Dank.
Ich glaube, Mitte Dezember war es dann so weit. Die beiden konnten es kaum erwarten und schleppten die alte Matratze aus Melinas WG in die neue Wohnung – sie zogen fünf Tage früher aus als geplant.
Ich stand hier im Flur, konnte ihre Vorfreude und diesen Bock auf die neue Wohnung komplett nachvollziehen – und parallel entstand dieses Gefühl: „Es kann wohl einfach nicht schnell genug gehen … sie haben es doch gut hier.“ Ich hörte mich innerlich an wie meine Omi Liesbeth.
Kurz vor Weihnachten hatte ich also meine 83 Quadratmeter für mich alleine. Es war ja gar nicht so, dass wir hier permanent aufeinander hingen, aber irgendwer war halt immer da, und man wusste immer, was los ist. Oft war ich auch einfach genervt und hab mich gefreut, wenn ich mal nur für mich war und niemand (außer mir) Unordnung verbreitete. Aber für immer ist dann doch eine andere Nummer.
Rückblickend kann ich sagen: Die Zeit vor dem Auszug war schlimmer für mich. Ich malte mir alle möglichen Szenarien aus – wie es mir gehen würde, wie einsam ich wäre. In Wirklichkeit gewöhnte ich mich super schnell an die neue Situation und fing an, diese neue Freiheit zu genießen.
Ich nutzte die Zeit um Weihnachten herum und machte aus dem frei gewordenen Zimmer einen hellen Raum, in dem ich meinen kreativen Gedanken nachhängen kann, Homeoffice mache, meine Kurse gebe. Ich strich den Boden auf allen Vieren, kaufte 5-Euro-Möbel auf dem Flohmarkt, malte sie an – und bin heute richtig glücklich mit dem Ergebnis. Ich nutze diesen Raum wirklich oft.










Was hat sich verändert?
Manchmal muss ich wirklich selber lachen. Es ist verrückt, wie selten die Spülmaschine noch läuft. Oder die Waschmaschine. Wie selten ich einkaufe oder durch die Wohnung putze. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht täglich von Nudeln mit Ketchup ernähre. Mein Kühlschrank ist meistens irgendwie leer. Ich bin sehr gespannt, wie sich das auf die Strom- und Nebenkostenabrechnung auswirkt.
Ich gehöre jetzt zu den Eltern, die an der Kasse großzügig sagen: „Ich übernehme heute euren Einkauf.“ In solchen Momenten fühle ich mich richtig alt – weil ich das nur von meiner Omi kenne.
Am schwersten war für mich das Fehlen dieser kleinen Interaktionen – wenn man abends nach Hause kommt, sich begrüßt und kurz fragt, wie der Tag war. Aber auch das hat sich gelegt. Ich achte darauf, dass es mir gut geht, dass ich in Kontakt mit Menschen bin – und das gelingt mir ziemlich gut. Es füllt mein Leben und gleichzeitig meine Seele.
Verändert hat sich auch unser Umgang miteinander. Als alleinerziehende Mutter ist das Verhältnis ein anderes, als wenn beide Elternteile im Haushalt leben. Wir hatten also per se immer eine besondere Verbindung – natürlich mit all den klassischen Herausforderungen, die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern so mit sich bringen: Unordnung, leerer Kühlschrank … nichts Dramatisches, aber eben diese kleinen nervigen Themen.
Die gibt es jetzt nicht mehr. Es gibt eigentlich kaum noch etwas, woran wir anecken könnten.
Luca ist im Endspurt seiner Ausbildung, wohnt mit seiner Freundin in einer hübschen Altbauwohnung, hat ein Stipendium fürs Ausland.
Was könnte ich mir bitte mehr wünschen? Absolut gar nichts.
Als ich mich vor zehn Jahren trennte, hatte ich immer diesen einen Satz im Kopf:
„Ich muss darauf achten, dass es Luca gut geht.“
Das hatte immer Vorrang – vor allem anderen. Ich wollte nicht, dass sich die Trennung negativ auf ihn auswirkt. Das hatte zur Folge, dass ich meine Gefühle und Ängste oft zurückstellen musste.
Was das bewirkt hat?
Ich musste super oft über meinen Schatten springen. Manchmal hat mir das die Luft zum Atmen genommen. Zum Beispiel in dem Moment, als er zum ersten Mal zu seinem Vater fuhr – mit dessen neuer Frau, samt Kind. Ich war das ganze lange Wochenende wie in Watte gepackt zu Hause und versuchte, nicht darüber nachzudenken. (Spoiler: Hat nur so semigut funktioniert.)
Heute bin ich mir selbst dankbar, dass ich einer möglichen Verbitterung keinen Platz eingeräumt habe. Das heißt nicht, dass es nicht schwer war oder ich nicht manchmal wütend war – aber der Wille, nach vorn zu schauen, war stärker.

Jetzt haben wir Ende März 2025 – und es ist eine neue Normalität eingekehrt.
Ich lerne in Minischritten, dass ich nun auf mich schauen darf. Dass ich Verantwortung loslassen kann. Ich hätte mir nie vorstellen können, wie schwer das ist – aus dieser Rolle auszubrechen. Ich denke bei so vielen Dingen immer noch: „Oh, da muss ich Luca mit einbinden …“ – aber tatsächlich kann ich vieles einfach für mich allein entscheiden. Daran muss ich mich noch gewöhnen.
Ich glaube, das Verhältnis zu meiner Mutter wäre heute ein anderes, wenn diese Generation gelernt hätte, über Gefühle zu reden. Wie gern hätte ich von meiner Mutter gehört, dass sie mich vermisst hat. Oder dass es schwer für sie war, als ich gegangen bin.
Das nicht zu wissen, macht all diese Emotionen irgendwie schwer greifbar.
Luca weiß, dass ich meine Freiheiten genieße – und dass ich ihn vermisse.
Er weiß, dass ich auch auf die Entfernung immer der Fels in der Brandung für ihn bin.
Er spiegelt mir das und spricht das auch aus.
Mehr Empathie konnte ich ihm nicht mitgeben.
Jetzt, mit 48, habe ich einen komplett anderen Blick auf unsere Rolle als Frau, als Mutter – in Verbindung mit Karriere und all der Belastung, die damit einhergeht. So richtig bewusst wurde mir das allerdings erst, als ich meiner großen Verantwortung entwachsen bin – und plötzlich ein Problem hatte, wieder auf mich selbst zu schauen.
Ich war so sehr damit beschäftigt, Mama zu sein, Geld zu verdienen, den Haushalt zu führen und alles andere zu regeln – dass ich gar nicht mehr wusste, wer ich eigentlich noch bin, ohne einen großen Teil davon.
Da war ganz schön viel Leere.
Aber ich bin umgeben von vielen Frauen, denen es ähnlich geht – und wir reden drüber. Wir lachen. Und manchmal weinen wir gemeinsam.
Das ist schön. Und es hilft sehr.
Andrea
“There are two lasting bequests we can give our children. One is roots. The other is wings.”
– Hodding Carter


7 Kommentare
Kati
Oh Gott ist das schön 😊 und ich fühle deine Worte soooo sehr… selbe Geschichte hier. Alleinerziehend über viele viele Jahre,tolle Kinder großgezogen, mittlerweile bin ich alleine wohnend und ich liebe es soo sehr. Hab MICH wiedergefunden, bin unendlich dankbar für alles, freue mich über die Kids, übernehme Einkäufe, wir fahren zusammen in den Urlaub… alles perfekt 🙂
Schnappatmung und ein paar Tränchen kamen bei deiner Beschreibung des „Alleinerziehend seins“. Ich spürte sofort wieder den Druck und die Verantwortung der damaligen Zeit… rückwirkend betrachtet sollten wir uns öfter auf die Schulter klopfen 😉
Daniela
Wie wunderschön geschrieben, man sieht immer mit einem lachenden und weinenden Auge beim Auszug des Kindes zu. Aber nur mit Vertrauen und Liebe und Güte machen wir sie zu dem wundervollen Menschen, die sie sind und lassen sie los, wenn es Zeit ist. Auch wenn es schwer fällt, damit sie ihre Wege gehen können. LG Daniela
maeder.brigitte@bluewin.ch
Liebe Andrea
Du hast den „Auszug“ so wunderbar in Worte gefasst. Mir erging es so, als der Jüngere ausgezogen ist. Beim meinem Älteren hat es nicht sooo weh getan, war ja noch einer zuhause, aber beim Jüngeren schmerzte es. Natürlich habe ich mich gefreut für ihn bzw. für sie, aber fehlen tun sie dennoch.
Ich bin stolz wie sie ihr Leben meistern und der Jüngere macht mich diese Tage zur Oma, es kann jederzeit losgehen. Freue mich sehr auf diesen Abschnitt in meinem Leben.
… und ja wir Frauen sollten uns öfters mal auf die Schulter klopfen für das was war wir alles leisten.
Herzliche Grüsse nach Leipzig.
Brigitte
Ivonne Steffan
🤍🤍🤍🪩
Maria Peerenboom
Was für ein toller Bericht! 😍
Ich habe zwei Jungs und hätte mich auch gefreut, dass die Jungs die Statistik erfüllen und länger zu Hause bleiben als Mädchen!
Na ja, so machen wir das Beste daraus und genießen die Zeit, wenn sie mal wieder Zuhause sind! 🥰
Andrea, du findest immer die passenden Worte! Genial!
Ich wünsche dir das allerschönste Wochenende!! ☀️❣️
Silvia
Ach liebe Andrea,
du gibst mir immer wieder diese Gänsehaut Momente. Man fühlt sich dir dann so nah, obwohl man garkeine gemeinsame Vergangenheit oder persönlichen Kontakt hat.
Ich bin echt Fan und wünsche dir von Herzen viel Glücksmomente!
Silvia
Tantchen
Du schreibst sehr schön meine liebe Nichte.
Mir fallen bei vielen Dingen auch selbige auf.
Sehr gut kenne ich deine Mutter, meine Schwester nicht. Sicher auch bedingt durch große Entfernungen , Wegemäßig, fehlende Digitalisierung, es gab nicht mal Telefon und wie du selbst schon mal gesagt hast, trifft das geschriebene Wort nicht immer das gesagt. Schrift zeigt kein Emotion.
Wir durften sowas zu Hause nicht aussprechen. Selbst wenn wir dies durch Tränen taten, interessierte es niemanden.
Er gab für mich nur zweimal Seitens meines Vaters Gefühle. Als ich 8 Jahre wurde hat es niemanden gejuckt und ich muss wohl gedacht haben, ich sage mal. Das tat ich mit etwas Gesang, heute bin ich nicht mehr sieben , heute bin ich acht. Egal wie laut und oft ich das sang. Ich sang umsonst. Aber am Abend kam mein Vati, ( so mussten wir ihn nennen) ,
Ich war mit Heidi und deiner Mutter in der Küche . Mein Vati hockte sich zu uns , hat jeden ein zehn Pfennig Stück gegeben. Mir hat er noch eins dazugegeben und gesagt, weil du heute Geburtstag hast. Ein Glücksgefühl vom feinsten für mich. Ich glaube das haben mir meine Schwestern auch nicht geniedet.
Und dann kam die Zeit als ich auszog. Es macht den Eindruck als ob es niemanden juckte. Als ich mich dann von Vati verabschiedet habe hat er mir hinterher gerufen das ich nicht vergessen soll das ich jederzeit zurück kommen kann. Das waren zwei Dinge die echt Gefühle von ihm gezeigt haben.
Für uns alle einfach zu wenig. Vielleicht kommt es auch aus der Kindheit das deine Mutter das nie konnte. Aber jetzt ist sie groß und alt und könnte über ihren Schatten springen.
Ich für mich kann nur sagen das ich sehr bedauere dich nicht schon früher kennen gelernt zu haben. Obwohl der Kinderurlaub mit dir nie aus dem Kopf war weil er mein entspanntester aller Zeiten war.
Heute bin ich mir nur Stile und sprachlos was du alles gemeistert hast und kannst.
Ich hab dich und deinen Luca sehr lieb gewonnen. Natürlich auch die vierbeinigen Jungs 🤣
Bleib wie du bist meine liebe Nichte
Liebe Grüße
Deine Tante🥰