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#13 SUNDAYS… ein bisschen mehr weniger

Wir saßen am Flughafen und unterhielten uns. Ich fragte sie, was sie sich von Südafrika wünscht. Was möchte sie sehen oder erleben? „Tiere möchte ich sehen“, sagte sie … und ein ausgesprochen großer Wunsch war es, Wale zu beobachten.

Wale …

Eigentlich dachte ich, sie hätte schon alles gesehen. Sie hat doch sämtliche Tauchscheine und war überall auf der Welt in den tiefsten Gewässern unterwegs … nur eben ohne Wale.

Februar und März sind eigentlich keine Zeit für Wale am Western Cape, aber wir hatten in den vergangenen Jahren immer Glück, und es gab keine Reise, bei der wir keine gesehen hätten. Sie waren einfach immer da.

Die erste Woche verging.

Die zweite Woche verging.

Die dritte Woche verging.

Keine Wale. Keine Blubberblasen an der Atlantikoberfläche. Keine Fontänen. Keine „Walkreise“, wie ich sie gerne nenne.

Der Abschied nahte. Sie flog eine Woche früher als ich. Wir wollten den letzten Morgen vor ihrem Abflug am Abend in unserem Lieblingscafé verbringen. Vom Apartment bis zum Meer sind es nur wenige Schritte. Wir unterhalten uns, und dann folgender Satz:

„Andrea … war das ein Wal?“

Wir gucken aufs Wasser, und in dem Moment springt er in seiner vollen Schönheit aus dem Atlantik.

Viele Stunden blieben wir am Strand und konnten dieses Glück nicht begreifen. Denn das war es … es war ein bisschen so, als schließe sich ein Kreis. Hollywood hätte diesen Film nicht schöner drehen können.

Mich trägt dieser Moment immer noch. Mich tragen die Wochen in Kapstadt immer noch.


eatprayohfuck Kapstadt


Zuhause ist nicht Südafrika. Und dennoch bin ich gerne hier. In Deutschland. In Leipzig. Gefühlt ist es aber häufig ein mentaler Overload. Es gibt nur wenige Zeiträume, in denen es einfach mal nur leicht ist. Und selbst ich, Zweitname „Frohnatur“, habe viele Momente, in denen nur Rückzug und absolute Ruhe helfen. Ich bin sehr viel zuhause und finde Balance im geschützten Raum meiner Wohnung und genieße die stillen Momente, in denen einfach nur die Hunde um mich herum sind.

Egal, wo man hinhört … das Leben ist eine Herausforderung. Krebs wird immer öfter ein Thema unter uns Frauen dieser Generation. Die Begleiterscheinungen der Wechseljahre sind herausfordernd, und immer öfter muss man sich mit dem Tod auseinandersetzen. Oft sind es die Eltern, die nun alt sind, und das Leben erscheint immer endlicher und fordert mich gedanklich heraus.

Hinzu kommen Existenzängste. Wie sollte man die aktuell auch nicht haben? Viele aus meinem näheren Umfeld wurden gekündigt oder sind auf dem Weg in die Kurzarbeit. Ich befinde mich ebenso in einer beruflichen Veränderung und versuche zu verstehen, wie sich Alter und Frausein auf mich selbst und meinen ganz persönlichen Weg auswirken. Mit Mitte 30 hätte ich mir nicht annähernd vorstellen können, dass Expertise und Klarheit in patriarchalen Strukturen nicht gern gesehen sind. Wie sehr wir allerdings immer noch in solchen festgefahrenen Strukturen arbeiten, ist mir erst in den vergangenen zwei Jahren wieder bewusst geworden. Da ich vorher mehr oder weniger für mich alleine gearbeitet habe, war das für mich nur wenig bis gar nicht existent.

Mit etwas Abstand zu meinen eigenen Entscheidungen sehe ich sehr viel klarer und weiß immer besser, was ich möchte, wie ich es möchte und welche Werte ich damit vertrete. Und das immer unter dem Deckmantel von: „Philosophie und Werte zahlen – in der Regel – meine Miete nicht.“ Da braucht es also eine vernünftige Balance.

Mein Instagram-Feed ist voll mit kostenlosen Angeboten und Versprechungen von Reichtum, Jugend und Schönheit. Parallel entsteht der Eindruck, all das ginge ganz leicht und schnell, fast schon im Schlaf. Das ist so ein unfassbarer Bullshit, dass ich manchmal in mein Display schreien möchte. Und ich verstehe, wenn einen das lockt, denn vieles davon wünschen wir uns ja … Ein bisschen mehr „weniger“. Ein bisschen mehr weniger Stress. Ein bisschen mehr weniger Mental Overload. Dafür ein bisschen mehr Freizeit. Ein bisschen mehr Geld auf dem Konto. Einfach ein bisschen mehr den Kopf frei haben.

Woher nimmst du deine Energie?“ Eine Frage, die mich fast täglich in meinen DMs erreicht.

Ich hatte lange keine Antwort darauf. Heute habe ich eine. Sich als Frau unabhängig zu machen, ist ein Weg, der genau das braucht: Energie, Fleiß, Willen, Selbstreflexion und Mut. Ist man parallel noch Mutter, wird das noch schwieriger. Der Tag hat nur 24 Stunden, und wie sehr man sich als Frau zurückstellt, wenn man Familie hat, wird einem erst wirklich bewusst, wenn da wieder etwas mehr Luft ist und man sich fragen darf, wo die Reise für mich persönlich hingehen soll.

Ein Satz, den ich immer wieder höre, ist: „Mein Mann verdient ja gut.“ Ich freue mich für jede Frau, die sich im Raum einer sicheren und guten Partnerschaft aufgehoben fühlen darf. Nur was, wenn es diesen Raum nicht gibt und wir nur für uns sorgen? Dass wir uns über viele Jahrzehnte in exakt diesen gesellschaftlichen Strukturen selbst konditioniert haben, sorgt heute für Altersarmut, vor allem bei uns Frauen.

Wir dürfen auch innerhalb von Partnerschaften unabhängig sein. Das ist per se eine Herausforderung, noch mehr, wenn Kinder da sind. Und wir können nur etwas verändern, wenn wir ehrlich draufschauen und uns nicht weiter selbst belügen. Viele familiäre Konstrukte funktionieren nur, weil Frauen einen oder viele Schritte zurückgehen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie deutlich mehr Raum in der Politik gefunden hätte.

Woher ich meine Energie nehme? Ganz einfach … ich brauche sie. Ich muss fleißig sein können. Denn da gibt es kein Netz und keinen doppelten Boden. Ich selbst bin mein Netz und doppelter Boden.

Ich mag es nicht, wenn man mit Hoffnungen und Sehnsüchten spielt. Wir alle brauchen hin und wieder rosarote Wolken und die Decke über dem Kopf. Das geht auch mir so. Nur mindestens genauso brauchen wir Klarheit, Ehrlichkeit mit uns selbst, und dann brauchen wir noch … radikale Freundlichkeit.

Ich wünsche euch den schönsten Sonntag.

Andrea

3 Kommentare

  • Heike

    Grossartig viel Klarheit an diesem Sonntag Morgen! Genau so und nicht anders ist es, wir sind auch 2025 noch so weit weg von wirklicher Gleichberechtigung, das finde ich sehr sehr frustrierend.
    ich bin froh Dich in meinem Leben zu haben, Du bringst die Dinge so wunberbar auf den Punkt!
    Liebste Grüße nach Leipzig!

  • Nadine

    So schön geschrieben. Schön, dass es noch Menschen gibt die genau so denken, fühlen wie man selber. Das gibt mir Hoffnung. Ich sehne mich nach nichts mehr in dieser Gesellschaft wie Ehrlichkeit, Klarheit und Freundlichkeit.Das täte unserer schnelllebigen Gesellschaft so gut.ich kann dich in all deinem Gedanken und Empfinden gut verstehen.
    Zum Glück bleibt am Ende noch die Hoffnung.

    Liebe Grüße Nadine

  • Ivonne Steffan

    Oh mein Gott, damit hast du mich heut aber kalt erwischt. Ich war wieder da. Stolpernd über meine eigenen FlipFlops und über die Straße rennend, den Verkehr stoppend, kreischend vor Freude wie … ja wie? Ich hab keinen Vergleich…. wie ein Kleinkind… und nein-DU heulst! 🤍🐳 Lieb‘ dich!

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