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#12 SUNDAYS… 1 Jahr…

Zwei Wochen vor Ablauf der Probezeit kündigte ich im vergangenen Jahr meinen vermeintlichen Traumjob in Berlin-Mitte.

Solche Prozesse können einen innerlich manchmal zerreißen, weil sie für viele Selbstzweifel sorgen. Bei mir war das jedenfalls so.

Mit einem Jahr Abstand sehe ich viele Dinge sehr viel klarer und bin ultra dankbar für die sechs Monate in Berlin, die mir ein weiteres Fundament für meinen heutigen Job geschaffen haben. Die Kündigung war der einzig folgerichtige Schritt, aber die sechs Monate in Berlin sind deswegen nicht minder wertvoll gewesen.

Wir haben Sonntag, den 1. Dezember, und ich bin seit einem Jahr an Bord in der Firma, für die ich mich dann im November vergangenen Jahres entschied (und sie sich für mich). Was für viele Menschen etwas völlig Normales oder wenig Spektakuläres ist, ist für mich ein Meilenstein. Einer, an den ich mich immer noch gewöhnen muss.

Selbstständig zu sein war nie mein Wunsch. Im Zuge der Trennung vor knapp zehn Jahren nahm das eine Eigendynamik an, die zumindest bei der Thematik, alleinerziehend zu sein, erstmal Vorteile mit sich brachte.

Heute weiß ich, dass viele dieser Modelle eigentlich nur funktionieren, wenn es einen Partner gibt, der Notsituationen auffangen kann und die Fixkosten safe sind. So war es eigentlich auch mal gedacht, aber dann kam 2015 eben alles anders und ich musste das irgendwie alleine rocken.

Einiges ist mir dabei richtig gut gelungen, und einiges überhaupt nicht. Dieser riesige Spagat war schlichtweg nicht zu schaffen, ohne dass da etwas auf der Strecke bleibt.

Diese innere Unruhe verfolgt mich bis heute, aber die gute Nachricht ist: Es ist parallel dazu um Welten besser geworden. Und es zeigt eben auch, wie viel Zeit es benötigt, einen Weg der Heilung und gleichzeitig Veränderung zu beschreiten.

Ich bin immer noch ein bisschen wackelig auf meinen Beinen und ebenso gefestigt. Manchmal geht das Hand in Hand, und ich muss mich dann nur entscheiden, auf welcher der beiden Autobahnen ich lieber fahren möchte. Und da liegt die Antwort ziemlich klar vor mir.

Habe ich meinen Traumjob gefunden? Ich glaube, von diesem Wort sollten wir uns verabschieden. Ich mag meine Arbeit sehr. Ich bin intellektuell herausgefordert und wachse auf der zwischenmenschlichen Ebene über mich hinaus. Ich habe Freunde gefunden. Ich habe zwei ungewöhnliche Chefs. Ungewöhnlich für mich, weil ich aus einer anderen Generation komme und in einer Arbeitsstruktur erwachsen geworden bin, die noch ganz anders funktioniert hat. Dabei verlaufe ich mich manchmal ein bisschen, aber mein Kompass macht da am Ende des Tages einen ziemlich guten Job. Ich habe es sehr gut getroffen, und der Rest findet sich von ganz alleine.

In zwei Wochen zieht Luca aus. Betrachte ich diesen jungen Mann in all seinen Facetten und wie er seinen Weg geht, dann hat sich jede einzelne Strapaze und Sorge der vergangenen zehn Jahre gelohnt. Es ist ein bisschen so, als würde man ein fertiges „Produkt“ sehen, das man selber geformt hat. Und wir alle wissen: Wir können den Weg nur ebnen – gehen müssen ihn unsere Kinder selber.

Ich habe meine ganz eigene Uhr nochmal auf null gestellt. Die Welt liegt vor mir… und ich gestalte das dritte Quartal meines Lebens nur noch für mich. Das fühlt sich merkwürdig verrückt an und manchmal bin ich ein bisschen lost und dann aber auch wieder überhaupt nicht.

Meine größte persönliche Herausforderung in diesem Jahr war, meine Selbstzweifel in den Griff zu bekommen. Und trotzdem möchte ich da, bei näherer Betrachtung, nicht unfassbar streng mit mir sein. Mein gesamtes Leben war bisher ein Feld, in dem diese kleinen „Zweifelpflanzen“ wunderbar gedeihen konnten.

Als ich noch klein war, hörte ich meine Mama gegenüber anderen oft sagen: „Ach, um die Andrea müssen wir uns nicht kümmern, die ist ein Selbstläufer.“ Ich weiß bis heute nicht, was meine Eltern über mich denken, ob sie stolz waren. Was gefehlt hat, war Aufmerksamkeit. Mit Aufmerksamkeit geht auch Feedback einher. Wichtige Gespräche, die Reibung, Wärme und gleichzeitig Wachstum bedeuten, haben gefehlt. Ich konnte zwar meinem eigenen Radar folgen, aber niemand hat den Weg gewiesen, und ich sehe heute an meinem eigenen Sohn, wie wichtig und hilfreich das ist.

Ein Jahr in meinem Job. Das war eigentlich der Aufhänger für diese Sonntagsgedanken. Schöner könnte das Minijubiläum nicht fallen, oder? Wir haben Sonntag, es ist der 1. Advent, und wir starten in den letzten Monat dieses Jahres.

Nachts wieder schlafen zu können, Wochenenden zu haben, richtig Urlaub zu haben, mir um die nächste Miete keine Sorgen machen zu müssen, trotzdem gefordert zu sein, mit Flexibilität in einem empathischen Umfeld arbeiten zu dürfen, für mich ganz alleine sorgen zu können – das bedeutet mir die Welt, und das habe ich vor einem Jahr am allerwenigsten erwartet.

Heute treffe ich mich mit einer Freundin aus Lübeck. Sie hat morgen ein Vorstellungsgespräch in Leipzig und bezieht vielleicht – temporär – das Zimmer von Luca. Mal völlig egal, ob es dazu kommt oder nicht… ist schon der Gedanke recht wegweisend für mich und vielleicht ein klitzekleiner Hinweis darauf, dass mein Leben im klassischen Sinne des gesellschaftlichen Rahmens… ungewöhnlich bleiben wird.

Ich wünsche euch den allerschönsten 1. Advent.

Andrea

Ein Kommentar

  • Marion L.

    Liebe Andrea, ich mag Dein Wort zum Sonntag 😉
    Danke, dass du uns so an deinem Leben teilhaben lässt und uns da damit auch immer wieder eigene Denkanstöße gibst!

    Hab einen wunderschönen 1. Advent 🕯️🌲und genieß den letzten Monat des Jahres.

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